Finnisch ist ein Unicum – oder nicht?

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Sucht man im Internet über die Bildersuche nach der finnischen Sprache, wird man schnell auf Memes stoßen, in denen Wörter aus anderen europäischen Sprachen miteinander sowie mit der finnischen Entsprechung verglichen werden. Ein Beispiel wäre „Nacht“: nuit – notte – noche – night – yö. Diese Gegenüberstellungen suggerieren, dass das Finnische ziemlich allein dasteht. In diesem Beitrag möchten wir näher darauf eingehen, inwieweit diese Vorstellung mit der Realität übereinstimmt.

Dazu muss man zunächst einmal wissen, dass die meisten europäischen Sprachen zu den sogenannten indogermanischen Sprachen gehören, während das Finnische zu den finno-ugrischen Sprachen zählt. Die bekanntesten Vertreter dieser Sprachfamilie, die zudem auch den Status einer Amtssprache in der EU haben, sind neben dem Finnischen das Estnische und das Ungarische. Leider bedeutet diese Verwandtschaft nicht, dass ein Finne und ein Ungar sich in ihrer jeweiligen Muttersprache miteinander verständigen könnten. Da sich die finnische und ungarische Sprache schon vor langer Zeit auseinanderentwickelt haben, weisen sie zwar Gemeinsamkeiten in der Sprachstruktur auf, verfügen aber über einen sehr unterschiedlichen Wortschatz. Deswegen konnte ich mir trotz meiner Finnischkenntnisse mit egészségedre und kapucni bisher nur zwei Wörter auf Ungarisch merken.

Auf der Tafel steht „Schildkröte“ auf Ungarisch. Warum? Weil es sich auf Promotionsfeiern manchmal so ergibt.

 

Andere mit Finnisch entfernt verwandte Sprachen sind unter anderem Mordwinisch, Udmurtisch, Komi und Mari, die in Russland um das Uralgebiet verbreitet sind. Im Folgenden werden wir den Fokus aber nur auf die finno-ugrischen Sprachen legen, die in und um Finnland herum gesprochen werden.

Das Sprachgebiet der samischen Sprachen erstreckt sich über vier Länder von Norwegen über Schweden und Finnland bis nach Russland. Mit etwa 20.000 Sprechern stellt das Nordsamische die größte Gruppe innerhalb dieser Familie dar, während einige der anderen Sprachen heutzutage vom Aussterben bedroht sind. Im finnischen Teil Lapplands werden drei samische Sprachen gesprochen: Nordsamisch, Skoltsamisch (hauptsächlich im Gebiet um Sevettijärvi) und Inarisamisch (im Gebiet um Inari und Utsjoki). Diese Sprachen verfügen in Finnland per Gesetz über einen offiziellen Status, was zum Beispiel bedeutet, dass sie im Gebiet der Samen bei Behördengängen verwendet werden dürfen. Ist man in Nordlappland unterwegs, wird man auf Schilder stoßen, die Ortsnamen nicht nur auf Finnisch, sondern auch auf Samisch ausweisen. Allerdings sind auch in diesem Fall die sprachlichen Unterschiede so groß, dass ich ohne die finnische Übersetzung nicht in der Lage wäre, die Wegweiser zu verstehen.

Zweisprachige Beschilderung in Utsjoki

 

Sucht man nach größeren Übereinstimmungen mit dem Finnischen, wird man bei der Untergruppe der ostseefinnischen Sprachen fündig. Das führt uns zurück zum Estnischen. Während eines Aufenthaltes in Tallinn konnte ich mich selbst davon überzeugen, wie ähnlich sich Finnisch und Estnisch sind. Beim Blick auf eine estnische Landkarte entdeckt man zum Beispiel Wörter wie laht (Bucht, vgl. finn. lahti) oder saar (Insel, vgl. finn. saari). Auch Beschriftungen an Gebäuden oder auf Schildern sehen für jemanden, der Finnisch gelernt hat, nicht aus wie Kauderwelsch, sondern ergeben durchaus Sinn. Eine gewisse Vorsicht ist allerdings geboten, denn es gibt auch eine Reihe falscher Freunde.

Als ich in Tallinn einen mehrsprachigen Hefter mit Informationen zu unserem Hotel durchblätterte, wunderte ich mich darüber, dass ich im Falle von hallitus die Rezeption informieren sollte. Hallitus ist das finnische Wort für „Regierung“. Eine kurze Internetrecherche ergab, dass das estnische Wort hallitus dagegen „Schimmelpilz“ bedeutet. Ebenfalls zu Missverständnissen könnte führen, dass man im Finnischen unter pulma ein Problem versteht. In Estland ist pulmapäev aber nicht, wie man meinen könnte, ein „Problemtag“, sondern eine Hochzeit. Und so mancher finnische Tourist wird in Estland wohl schon in Erwartung eines süßen gefüllten Gebäcks in viiner gebissen haben und wurde davon überrascht, dass es sich stattdessen um Würstchen handelte.

„ohtlik ala, varisemisoht“ ist Estnisch und bedeutet „gefährliches Gebiet, Einsturzgefahr“.

 

Ebenfalls eng verwandt mit dem Finnischen ist die karelische Sprache. Dabei handelt es sich nicht um die Dialekte, die in den finnischen Provinzen Nord- und Südkarelien gehört werden können, sondern um eine eigenständige Sprache. Sie ist vor allem in der an Finnland grenzenden russischen Republik Karelien verbreitet, aber auch in Finnland gibt es eine karelischsprachige Minderheit. Karelisch wurde lange als finnischer Dialekt angesehen und erhielt den Status als Minderheitensprache erst im Jahr 2009. Trotzdem verfügt die Sprache nicht über denselben offiziellen Status wie die zuvor erwähnten samischen Sprachen. Einen Eindruck von der Sprache kann man zum Beispiel in den sozialen Medien auf den Kanälen der Vereinigung Karjalazet Nuoret Suomes gewinnen, die ihre Beiträge sowohl auf Karelisch als auch auf Finnisch verfasst.

Die kvenische Sprache wird in der nordnorwegischen Provinz Troms og Finnmark von den Nachfahren finnischer Einwanderer, den Kvenen, gesprochen. Sie ist in Norwegen als eigene Sprache anerkannt und weist reichlich norwegische Lehnwörter auf. Im Gebiet Tornedalen (finn. Tornionlaakso), das sich grenzüberschreitend in Nordschweden und -finnland befindet, gibt es die Sprache Meänkieli, die in Schweden als Minderheitensprache anerkannt ist. Auch diese Sprache weist viele Übereinstimmungen zum Standardfinnischen auf, bedient sich aber einer großen Anzahl schwedischer Lehnwörter. Im Westen Russlands gibt es noch die Sprachen Wepsisch, Ischorisch und Wotisch, wobei die beiden zuletzt genannten stark vom Aussterben bedroht sind.

Die finnische Sprache ist also nicht ganz so einzigartig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es gibt eine Reihe von Sprachen und Dialekten, die mal mehr, mal weniger eng mit dem Finnischen verwandt sind. Einige von ihnen sind Amtssprachen, manche bereits ausgestorben oder bedroht, andere wiederum werden dank ihres besonderen Status als Minderheitensprache gefördert. So produziert zum Beispiel Yle, der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Finnland, auch Inhalte in samischen Sprachen. Die Zukunft wird zeigen, in welche Richtung sich die Anzahl der Sprecher entwickeln wird.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

    1. Miriam

      Da hat sich wohl der Fehlerteufel eingeschlichen. Danke für den Hinweis!

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