Aus dem Alltag zweier Sprachverrückter

You are currently viewing Aus dem Alltag zweier Sprachverrückter

Konzentriert studiere ich das Etikett der Flasche Lakritzlikör, die zwischen uns auf dem Tisch steht. Nach einer Weile verkünde ich: „Die isländische und englische Aufschrift sind nicht zu hundert Prozent identisch.“ Risto bestätigt das. „Wusstest du“, klugscheiße ich weiter, „dass isländische Jahreszahlen sächlich sind? Wenn du deine Telefonnummer sagst, brauchst du aber die männlichen Zahlen.“ An dieser Stelle wären viele vermutlich genervt von der Unterhaltung. Mein Freund zum Glück nicht. Er hat in der Zwischenzeit eine Passivform auf dem Etikett entdeckt, die im Schwedischen ähnlich gebildet wird.

Dinge wie mehrsprachige Gebrauchsanweisungen haben schon immer eine große Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Und dass ich beim zweisprachigen Vorspann der Sendung mit der Maus gerne mitgeraten habe, um welche Sprache es sich handelte, versteht sich wohl von selbst. Bei Reisen ins Ausland war eine meiner ersten Handlungen häufig, sämtliche Fernsehkanäle im Hotelzimmer auszuprobieren, denn schließlich gab es daheim keinen Zugriff auf die zahlreichen fremdsprachigen Fernsehinhalte. Vermutlich zum Leidwesen meiner Mitreisenden, die sich die Sendungen zwangsweise mit anhören mussten.

Das muss man nicht verstehen. Umso erstaunlicher, dass mir mit Risto jemand begegnet ist, der in dieser Hinsicht ähnlich tickt wie ich. So muss ich beispielsweise aufpassen, dass ich keins meiner Sprachlehrbücher auf dem Küchentisch liegen lasse. In diesem Fall kann ich mich nämlich darauf einstellen, dass er die nächste halbe Stunde nicht ansprechbar ist, weil er sich angucken möchte, wie das Buch aufgebaut ist – völlig unabhängig davon, ob er die Sprache selbst gelernt hat oder nicht. Man kann sich sicher vorstellen, dass unsere Bücherregale ein wenig der Fremdsprachenabteilung einer Stadtbücherei ähneln.

Dieses Interesse an Sprachen zieht sich bei uns durch den gesamten Tag: Angefangen beim Frühstück, wo häufig auch Lebensmittel aus Finnland auf dem Tisch stehen (deren Verpackungen dementsprechend Finnisch und Schwedisch beschriftet sind) bis abends kurz vor dem Schlafengehen, wenn ich ein Buch auf Finnisch lese, während sich Risto englisch- oder schwedischsprachige Zeitschriften zu Gemüte führt. Zwischendurch unterhalten wir uns manchmal darüber, dass wir gesprochenes Französisch schwer verständlich finden oder wie schade es ist, dass wir Italienisch nie anwenden. Außerdem muss mein armer Freund jederzeit darauf gefasst sein, dass er mir als Linguist Fragen beantworten soll, die mir spontan durch den Kopf gehen, wie zum Beispiel: „Warum ist die deutsche Grammatik im Vergleich zu vielen anderen germanischen Sprachen so komplex?“.

Trotz unserer gemeinsamen Leidenschaft für viele verschiedene Sprachen kommunizieren wir hauptsächlich auf Finnisch und Deutsch miteinander. In der Praxis sieht das meist so aus, dass Risto etwas auf Finnisch sagt und ich antworte auf Deutsch – es sei denn, wir befinden uns in der Öffentlichkeit und ich möchte nicht, dass jemand mithört. In dem Fall bin ich dann auch motiviert genug, finnische Sätze zusammenzubasteln. Ansonsten mischen wir aber auch gerne bunt durcheinander. So sind Aussagen wie: „Hämähäkki, hämähäkki, hämähäkki! Mach das weg!“ oder „Ne olivat Sauerkirschen, maistoit niitä viime vuonna.“ keine Seltenheit. Da solche Phänomene jedoch eher Ristos Spezialgebiet sind, hoffe ich, dass wir an anderer Stelle noch ausführlicher darauf werden eingehen können.

 

 

 

Schreibe einen Kommentar