Finnische Sprache bei meinen Verwandten, in zwei Varianten

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Stellt euch mal vor, man läuft von zuhause aus 200 Meter, um dann auf eine völlig andere Art und Weise mit den Mitmenschen zu kommunizieren, obwohl sie eigentlich alle dieselbe Sprache sprechen. Mir kommt das allerdings bekannt vor, auch wenn mir diese Tatsache, dass sich die finnischen Dialekte so deutlich voneinander unterscheiden können, im Kindesalter noch nicht so bewusst war.

Als ich ein Kind war, habe ich keine größere Aufmerksamkeit darauf gerichtet, auf welche Weise ich oder meine Verwandten sprechen oder schreiben. Ich besuchte regelmäßig sowohl die Angehörigen meiner Mutter als auch meines Vaters, von denen der größte Teil in der Nähe meines eigenen Zuhauses oder zumindest in derselben Stadt wohnte. Soweit ich mich erinnere, ergab sich lediglich darüber eine Debatte, wie man einen langen, hölzernen Gegenstand nennt. Die südöstliche Dialekte sprechenden Verwandten meines Vaters verwendeten das allgemeinsprachliche Wort keppi und akzeptierten die westfinnische Version köppi nicht. Wenn ich mir jetzt später Aufnahmen aus meiner Kindheit anhöre und ansehe, fällt vor allem auf, wie viele Züge der südwestfinnischen Übergangsdialekte darin sind, wenn auch weniger als in der Generation meiner Eltern, also zum Beispiel in der von meiner Mutter und ihrer Mutter gesprochenen Sprache.

Alles änderte sich, als ich in der dritten Klasse begann, die Nachmittage nach der Schule bei meinen Großeltern, also den Eltern meines Vaters, zu verbringen, normalerweise immer eine bis vier Stunden an fünf Tagen in der Woche. Damals konnte ich noch nicht verstehen, was für ein „Sprachbad“ das für mich war, obwohl ich jetzt bewusst die Charakteristiken der gesprochenen Sprache unterscheiden konnte. Ohne großartig darüber nachzudenken, eignete ich mir die Grundzüge der südöstlichen Dialekte an und begann bewusst anders zu sprechen, wenn ich bei meinen Großeltern war oder auch bei den Angehörigen meines Vaters, die selbst diesen Dialekt verwendeten. Das bemerkten natürlich auch meine Verwandten und lobten, wie gut der Dialekt auf mich übergegangen war. In diesem Artikel möchte ich nicht alle möglichen Unterschiede der Dialekte erklären, sondern gebe einige Beispiele für lexikalische, also den Wortschatz betreffende Fakten, die mir aus diesen Jahren in Erinnerung geblieben sind.

Meine Sprechweise hat sich also nicht wirklich geändert, bekam aber während dieser Jahre mehr Tiefe und neue Einflüsse. Später sind noch mehr Einflüsse dazu gekommen. Auf eine gewisse Weise kann man das Lernen des südöstlichen Dialekts also einreihen mit jedem anderen natürlichen Erlernen einer Sprache – durch wiederholtes Sprechen bleibt die Sprache hängen.

Wie so häufig gehörte zu diesem mir neu angeeigneten Code auch das Kennenlernen einer anderen Kultur. Daneben lernte ich ganz neue Bezeichnungen für bekannte Gegenstände: Ich war es gewohnt, Essbesteck mit Zinken haarukka zu nennen, aber jetzt bekam es einen zweiten Namen, kahveli. Als jemand, der später Deutsch und Schwedisch gelernt hat, ist es nicht schwierig, die Wortherkunft zu verstehen oder seine Bedeutung zu hinterfragen.

In einigen Fällen lernte ich nicht unbedingt neue Wörter, aber sie wurden auf eine andere Art verwendet, als ich es gewohnt war. Zum Beispiel war bei mir zu Hause immer makkara (Wurst) aufs Brot gelegt worden, aber meine Großeltern machten einen Unterschied zwischen makkara und liha (Fleisch). Für mich war also alles aufs Brot gelegte Fleisch Wurst gewesen, aber nun begann ich, über den Unterschied der Wörter nachzudenken. Geschirr, aus dem vor allem heiße Getränke getrunken werden, war ich gewohnt immer dann kuppi zu nennen, wenn es nicht aus Plastik hergestellt ist, aber meine Großeltern schafften es irgendwie, nach anderen Kriterien zwischen kuppi und muki (vgl. engl. cup und mug) zu unterscheiden, vermutlich auf Grundlage der Größe und nicht anhand der Beschaffenheit des Geschirrs.

Das Essen, welches man im Kühlen aufbewahren wollte, wurde in den ruokasuoja (Essensschutz) gebracht. Dieser Name fühlte sich für mich etwas seltsam an und meiner Erinnerung nach kann es sogar sein, dass ich ihn mit ruokasuola (Kochsalz) verwechselt habe, aber so ein Name für ein kühles Zimmer wirkte letztendlich doch vernünftig. Von keittiö (Küche) oder olohuone (Wohnzimmer) sprachen die Eltern meines Vaters nicht, sondern Zeit verbrachte man in der tupa (vgl. dt. Stube).

Viele weitere Wörter blieben hängen, unter anderem „vällee“, welches bedeutet „vielleicht, wahrscheinlich“, zu Deutsch auch „wohl“ und auf Schwedisch „väl“. Ich lernte zudem, bei Befehlen nur Verben zu benutzen. Der einfach Imperativ „Ole!“ konnte also abhängig von der Situation bedeuten „ole hiljaa“ (sei still) oder „ole kunnolla“ (benimm dich). Als anderes Beispiel für eine Art unvollständiger Struktur soll der Ausdruck vom Typ „Jo tulloo“ erwähnt werden. Dieser bedeutet in etwa „Se tulee jo.“ (Er/Sie/Irgendetwas kommt schon). Das Subjekt fehlt also und die Wortstellung fühlt sich anfangs seltsam an, aber auch an solche Ausdrücke gewöhnte ich mich mit der Zeit.

Im Laufe der Jahre begann die Sprechweise der Menschen mich immer mehr zu interessieren, und sowohl Diskussionen als auch Analysen gab es auch nach jenen Kindheitsjahren ausreichend.  Dort, wo viele Sprecher der südwestlichen Übergangsdialekte aus Satakunta wörtlich übersetzt „das Helle ins Nest legen“, geben sich die karelischen Sprecher der südostfinnischen Dialekte damit zufrieden, den Ofen oder den Kamin anzuzünden. Während man im Westen in der Sauna einen Quast aus Birkenzweigen namens vihta benutzt, lautete dessen Name im Osten vasta. Sagt man im Westen „vartoo!“, befiehlt man im Osten zu warten oder sagt normalerweise „uota!“. Ein sicheres Unterscheidungsmerkmal entsteht immer dann, wo man auf d-Laute trifft. So wird das allgemeinsprachliche Wort „radio“ im Westen in der gesprochenen Sprache zur Form „rarjo“ und im Osten zu „ratio“.

Man könnte natürlich hunderte solcher Beispiele geben, aber wie ich anfangs erwähnte, ist es nicht meine Absicht, mich allzu genau mit den Charakteristika der Dialekte zu befassen. Ich wollte einfach ein Verständnis davon vermitteln, was für eine Sprache ich gewohnt war meine Verwandten anwenden zu hören und auf welche Art mich das ganz sicherlich sowohl sprachlich als auch kulturell bereichert hat.

 

 

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