Ja, richtig gelesen, in diesem Artikel soll es darum gehen, warum die finnische Sprache eigentlich ganz einfach ist. Da man normalerweise eher damit konfrontiert wird, was am Finnischen alles Schwierigkeiten bereiten kann, möchte ich das Ganze einmal aus einer anderen Perspektive betrachten. Jede Sprache hat ihre Eigenheiten, und einige davon sind im Finnischen viel simpler als in anderen Sprachen, die ihr vielleicht schon einmal gelernt habt.
1. Kaum unregelmäßige Verben
Denke ich an meine Schulzeit zurück, kommen mir unter anderem die Vokabeltests im Englischunterricht in den Sinn. In unserem Lehrbuch gab es ganz hinten eine Tabelle mit unregelmäßigen Verben, die wir auswendig zu lernen hatten. Besagte Tabelle war immerhin umfangreich genug, um Stoff für mehrere Tests zu liefern.
Im Gegensatz dazu kenne ich nicht einmal das finnische Wort für „unregelmäßige Verben“, da es bis auf wenige Ausnahmen keine gibt. Mir fallen spontan nur olla (sein), tehdä (machen), nähdä (sehen) sowie das Imperfekt von käydä (gehen) ein. In den allermeisten Fällen aber erfolgt die Konjugation eines Verbes strikt nach den Regeln der jeweiligen Verbklasse, der es zuzuordnen ist.
So etwas wie starke Verben, also solche, die ihren Stammvokal ändern (vergleiche z.B. im Deutschen gehen: ich gehe – ich ging – ich bin gegangen), sucht man in der finnischen Sprache ebenfalls vergeblich.
2. Personalendungen immer gleich
Um beim Thema Verben zu bleiben: egal, welches Tempus verwendet wird, die Personalendungen bleiben im Finnischen ausnahmslos immer gleich. Dasselbe gilt für die Modi konditionaali und potentiaali.
Die Konjugation des finnischen Verbes puhua (sprechen) im preesens und imperfekti sieht zum Beispiel folgendermaßen aus:
preesens | imperfekti |
minä puhun | minä puhuin |
sinä puhut | sinä puhuit |
hän puhuu | hän puhui |
me puhumme | me puhuimme |
te puhutte | te puhuitte |
he puhuvat | he puhuivat |
Als Vergleich dazu das Verb für „sprechen“ im Spanischen (hablar) im presente und indefinido:
presente | indefinido |
yo hablo | yo hablé |
tú hablas | tú hablaste |
él / ella habla | él / ella habló |
nosotros / nosotras hablamos | nosotros / nosotras hablamos |
vosotros / vosotras habláis | vosotros / vosotras hablasteis |
ellos / ellas hablan | ellos / ellas hablaron |
Während im Finnischen also einfach ein -i- als Kennzeichen des imperfekti eingeschoben wird und ansonsten wie gewohnt die Personalendungen angehängt werden, muss man sich in anderen Sprachen im schlechtesten Fall einen ganzen Satz unterschiedlicher Endungen merken, wenn man die Zeitform wechselt.
(Anmerkung: imperfekti und indefinido sind natürlich keinesfalls 1:1 miteinander vergleichbar, aber wann welche Vergangenheitsform zum Einsatz kommt, stellt eine Wissenschaft für sich dar)
3. Kein Futur
Um auf Finnisch über zukünftige Ereignisse zu sprechen, genügt es, den Zeitpunkt durch Wörter wie „morgen, nächste Woche, nächstes Jahr“ näher zu definieren. Ansonsten ändert sich der Satz im Vergleich zur Gegenwart nicht. Unter anderem im Deutschen gibt es das Futur I (ich werde gehen) und Futur II (ich werde gegangen sein), im Englischen muss man sich zusätzlich überlegen, ob will-future oder going-to-future die richtige Wahl ist, und in anderen Sprachen wiederum müssen auch für Futurformen Personalendungen gepaukt werden.
4. Nur ein Hilfsverb bei zusammengesetzten Zeiten
Im Finnischen werden die zusammengesetzten Zeiten perfekti und pluskvamperfekti immer mit dem Hilfsverb olla gebildet. Wer zum Beispiel schon mal Italienisch gelernt hat, wird dabei sicher Bekanntschaft mit dem passato prossimo gemacht haben. Hierbei stellt sich (ähnlich wie im Deutschen) immer die Frage, ob essere (sein) oder avere (haben) als Hilfsverb verwendet werden müssen.
Finnisch | Italienisch | Deutsch |
Olen saapunut | Sono arrivato | Ich bin angekommen |
Olen puhunut | Ho parlato | Ich habe gesprochen |
5. Kein grammatikalisches Geschlecht und keine Artikel
Sprachen wie Französisch, Spanisch und Italienisch unterscheiden zwischen Maskulinum und Femininum – die Chance, daneben zu liegen, wenn man raten muss, ob ein Wort männlich oder weiblich ist, liegt also bei 50 %. Wer es noch ein wenig anspruchsvoller mag, findet zum Beispiel im Deutschen und Isländischen zusätzlich das Neutrum.
Im Finnischen gibt es weder ein grammatikalisches Geschlecht noch Artikel. Auch darüber, ob Adjektive zum Geschlecht des Substantives passen, muss man sich keine Gedanken machen. Außerdem ist eine Person unabhängig vom Geschlecht immer hän.
Finnisch | Spanisch |
Tyttö on pieni. | La chica es pequeña. |
Poika on pieni. | El chico es pequeño. |
Hän on pieni. | Él es pequeño. / Ella es pequeña. |
6. Eindeutige Ausspracheregeln
In der finnischen Sprache gilt: Was man sieht, spricht man auch aus. Ein Buchstabe entspricht immer einem Laut. So etwas wie im Französischen, dass Wortendungen häufig nicht ausgesprochen werden, gibt es nicht. Auch hier kann das Wort für sprechen (parler) als Beispiel herangezogen werden: je parle, tu parles, il parle, nous parlons, vous parlez, ils parlent. Die einzigen Endungen, die hörbar sind, sind -ons und -ez, und ohne das entsprechende Personalpronomen wären die anderen Personalformen in der gesprochenen Sprache nicht auseinander zu halten.
Besonders abenteuerlich finde ich die englische Aussprache. Je nachdem, wo sich ein Buchstabe im Wort befindet, kann er für völlig unterschiedliche Laute stehen. Während ein allein stehendes I wie /aɪ/ gesprochen wird, symbolisiert das Graphem beispielsweise in fill /fɪl/ oder first /fɜːst/ zwei verschiedene Laute. Andererseits kann das, was man im Deutschen unter i versteht, im Englischen auch mal als y oder ee geschrieben werden (siehe z.B. bunny /ˈbʌni/, way /weɪ/, feel /fiːl/).
Wie einfach ist doch da das Finnische: Das Graphem <i> ist und bleibt gesprochen /i/.
7. Überschaubare Anzahl an Lauten
Die Laute in der finnischen Sprache sind nicht nur eindeutig einem Graphem zugeordnet; es gibt auch relativ wenige. Wie im vorherigen Absatz erwähnt, gibt es im Finnischen genau eine Art, das Graphem <i> auszusprechen. Im Deutschen dagegen kann <i> entweder für /ɪ/ oder /iː/ stehen. Wer sich die Mühe macht, nach Vokaltrapezen oder tabellarischen Übersichten der Konsonanten im Deutschen und Finnischen zu suchen, wird feststellen, dass die Versionen für die deutsche Sprache „voller“ sind. Außerdem wird man erkennen, dass es bis auf /æ/ keine Laute im Finnischen gibt, die im Deutschen nicht ebenfalls vorhanden wären. In der Praxis bedeutet das, dass ein deutscher Muttersprachler sich (fast) keine neuen Laute aneignen muss, um finnische Wörter aussprechen zu können.
8. Lehnwörter aus dem Schwedischen/Englischen
Ich habe mir irgendwann einmal den Spaß gemacht, „einfache“ finnische Wörter aufzulisten. Mit einfach meine ich vor allem solche, die als Lehnwörter aus dem Schwedischen oder neuerdings auch aus dem Englischen entnommen worden sind und somit einen germanischen Ursprung haben. Daneben gibt es auch viele Begriffe, die aus dem Griechischen stammen und sich bis auf die angepasste Schreibweise kaum von ihren Pendants in anderen Sprachen unterscheiden. In meiner keinesfalls vollständigen Aufzählung bin ich bereits auf über 450 Wörter gekommen, die praktisch geschenkt sind: keksi, atomi, printteri…
Hiermit sollten nun hoffentlich alle Zweifel beseitigt sein, ob es machbar ist, Finnisch zu lernen. Falls noch nicht geschehen, legt ihr am besten direkt damit los.