Der Ertrag des Herbstes

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Einmal bekam ich als Kind nachmittags bei meinen Großeltern die Idee, einen kleinen Text über den Herbst zu schreiben, um die Zeit herumzukriegen, und dafür Bilder aus Zeitschriften zu sammeln. Jetzt ist die Zeit gekommen, diese Geschichte fortzusetzen.

Als Kind mochte ich den Herbst nicht besonders. In meinem Ranking der vier Jahreszeiten befand er sich auf dem letzten Platz. In meinem Text schrieb ich damals unter anderem, dass sich im Herbst auch die Abende beinahe unbemerkt verdunkeln. Als Enkel eines Kartoffelbauern, der seine Kindheit in Kokemäki verbracht hatte, dachte ich natürlich daran auch die Tatsache zu erwähnen, dass der Herbst die Zeit der Kartoffelernte ist, normalerweise mit Hilfe einer Maschine, aber manchmal auch per Hand. In einer Zeitschrift fand ich das Foto einer Frau, die auf einem Kartoffelacker hockte und mit den Händen Kartoffeln ausgrub. Die nach der Ernte leeren grauen Felder waren wahrlich kein die Stimmung hebender Anblick, sodass verständlich ist, dass ich dem Herbst gegenüber nicht besonders positiv eingestellt war. Jetzt, wo das Alter zugenommen und der Horizont sich erweitert hat, fängt man an die Dinge anders zu sehen. Auf die Erfahrungen wirkt sich natürlich auch zu einem großen Teil der Wohnort aus; die Herbstmonate im Ruhrgebiet sind anders als der September, Oktober oder November in Kokemäki, auch was das Klima angeht und nicht nur gemessen an dem Anteil der Kartoffelbauern.

 

Es gibt ausreichend Blätter

Falls die Menschen der nördlichen Breitengrade sich über die Menge der zu kehrenden Blätter beschweren, würde es sich lohnen nach Mitteleuropa zu kommen und sich anzuschauen, wie viele Blätter tatsächlich von den Bäumen auf den Boden fallen können. Ein paar Birken auf dem Hof produzieren nämlich nicht annähernd so eine Menge an Blättern wie die großen und großblättrigen Baumarten – unter anderem Linde, Eiche, Buche und Rosskastanie – die es in diesem Gebiet überall reichlich gibt. Sie haben im Vergleich zu Birken große und dicke Blätter, was das Sammeln des Laubs vielleicht etwas erleichtert, aber andererseits stören die großen Blätter mehr auf den Straßen und nehmen mehr Platz ein, wenn sie beiseite gefegt werden.

Die Zeit des Laubfalls ist auch vergleichsweise lang; die ersten Blätter werden schon im September gelb und kommen herunter, während ein Teil der Bäume wiederum seine Blätter bis in die zweite Novemberhälfte behält. Die große Anzahl verschiedener Laubbäume bedeutet also auch, dass das Fallen der Blätter sich abhängig von den Arten gleichmäßig über eine viele Wochen lange Zeitspanne verteilt.

Von den großen und großblättrigen Bäumen fällt viel Laub.

 

Der Laubbehälter ist ein sicheres Zeichen des Herbstes

In der ersten Septemberhälfte erscheinen im Straßenbild am Rand der Bürgersteige besondere für das Sammeln von Blättern gedachte Körbe, Käfige oder Abfallbehälter, die man in jeder Straße gleichmäßig etwa alle hundert Meter sieht. Diese Körbe bietet jede Stadt an, um ihren Bewohnern das Leben zu erleichtern. In Bochum ist der Korb eine viereckige Käfigkonstruktion, während die Stadt Herne große Plastikabfallcontainer verwendet.

Wie bei fast allen Dingen wurden auch für den Gebrauch dieser Laubkörbe genaue Regeln erstellt. Sie sind ausschließlich für die auf die Bürgersteige gefallenen Blätter bestimmt. Ähnliche Regeln betreffen übrigens auch das Schneeräumen: Jeder Immobilienbesitzer hat dafür Sorge zu tragen, dass der Gehweg vor dem Haus zwischen 8 Uhr morgens und 20 Uhr abends über die gesamte Länge des Grundstücks auf einer Breite von mindestens einem Meter frei von Schnee und trocken ist. Der Immobilienbesitzer darf (und so geschieht es normalerweise auch, wenn die Sache im Mietvertrag erwähnt wird) diese Instandhaltungspflicht auf die Mieter übertragen, wobei diese für gewöhnlich untereinander ausmachen, wer wann für die Pflege des öffentlichen Raumes vor dem Haus zuständig ist.

Durch die Regeln wird sichergestellt, dass die Sache sozusagen läuft. Das ist ein wichtiger Grund dafür, warum sich die Orte normalerweise in einem anstandslosen Zustand befinden. Die andere Seite der Medaille ist das ständige Leben mit Regeln und deren genaue Befolgung.

In Bochum sind die Laubkörbe einfache viereckige Käfige.

 

Selbst auf die Titelseite der lokalen Wochenzeitung hatte sich unter die Hauptschlagzeile der Text „Das große Fegen“ verirrt. In diesem wurden zugleich genau jene Behälter für Straßenlaub erwähnt und darauf aufmerksam gemacht, dass die Besitzer von Grundstücken die Pflicht haben, die Gehwege frei von Blättern und Schnee zu halten – die sogenannte „Pflicht zur Gehwegreinigung“. Außerdem wurde in der Zeitung die Anweisung gegeben, dass in die Laubkörbe nur solche Blätter gegeben werden dürfen, die auf die Bürgersteige vor dem Haus gefallen sind. Die Blätter wiederum, die zum Beispiel in den Garten oder Hinterhof gefallen sind, müssen über den Hausmüll verschwinden. Manchmal denke ich mir, dass man mehr Bauernverstand anwenden und das ständige Ausdenken von Vorschriften beenden könnte.

Die Stadt Herne bietet ihren Einwohnern zum Gebrauch große Abfallbehälter aus Plastik an, um das Laub zu entsorgen.

 

Von den Bäumen fällt auch anderes als Blätter

In der zweiten Septemberhälfte hatte ich die Möglichkeit, ein sich auf einer Kreuzung in der Nähe meines Wohnhauses entwickeltes Naturschauspiel zu beobachten, als von den großen Kastanienbäumen wirklich reichlich grünliche Früchte herabgefallen waren. Die braunen Samen in ihrem Inneren (die man auch Kastanien nennt) waren aufgebrochen, als Autos über sie hinüber gefahren waren. Wenn auf die Masse, die sich aus den kaputten Kastanien auf dem Weg ausgebreitet hatte, reichlich Regen fiel, entstand eine seifenartige Flüssigkeit. Deswegen schien die gesamte Kreuzung von einer Seifenmasse bedeckt zu sein. Anscheinend kam irgendwann die Straßenkehrmaschine zu Hilfe und fegte das, was von den Kastanien übriggeblieben war, fort, aber die großen Bäume haben ihre Früchte auch danach noch immer wieder abgeworfen.

Geht man in Deutschland in den „Wald“, wird man mit Sicherheit einem Schild dieser Art begegnen, auf dem auf die vielen verschiedenen Regeln verwiesen wird.

 

Dunkelheit erobert die Umgebung

Ich habe die Herbste meiner Kindheit und Jugend im Dunkeln verbracht, da im Zentrum des zu Kokemäki gehörigen Dorfes Tuomaala die erste Straßenbeleuchtung erst im Herbst 2002 installiert wurde. Deswegen bin ich es gewohnt, mich das halbe Jahr von Herbst bis Frühjahr im Dunkeln zu bewegen. Ich fühle keine Angst, wenn ich mich alleine im Dunkeln bewege, auch wenn ich vor allem abends versuche bestimmte Orte und Menschenansammlungen zu vermeiden. Dennoch ist es für mich kein Problem im Dunkeln (mit reflektierender Weste und Stirnlampe) zum Beispiel auf Waldwegen oder nicht beleuchteten Pfaden laufen zu gehen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ”Stadtmenschen”, also diejenigen, die ihr ganzes Leben in der Stadt gewohnt haben, häufig empfindlicher und auch nicht so gewillt sind, sich außerhalb der beleuchteten Gebiete zu bewegen. Dasselbe trifft übrigens auch auf das Bewegen abseits von markierten Pfaden zu: Ich bin es gewohnt, mich in Wäldern und auf Feldern sozusagen nach eigener Lust und Laune zu bewegen, ich brauche also keine fertig platt getrampelten oder asphaltierten Wege. Für mich bedeutet Freiheit auch, dass ich in unberührte Natur kann. In Deutschland und allgemein in Städten gibt es sehr oft Regeln, die es verbieten, außerhalb von Pfaden zu laufen, was natürlich eine gute Sache in der Hinsicht ist, dass der Mensch keine unangetastete Natur zerstören kann.

Falls es schneit, ist der Gehweg vor dem Haus in der Zeit zwischen 8 und 20 Uhr frei von Schnee zu halten. Im Herbst ist Schnee allerdings ein sehr seltener Gast.

 

Falls es schneien sollte…

In jedem Fall ist der Herbst im Ruhrgebiet häufig warm und nicht nur regnerisch. Die lange graue Zeit beginnt dann erst im Dezember oder nach Erlöschen der Weihnachtsbeleuchtung im Januar. Januar und Februar erinnern an den Herbst im südlichen Finnland, es ist also grau, ziemlich nass und dunkel. Schnee fällt in einigen Jahren mehr, in anderen weniger. Im Jahr 2022 schneite es eigentlich zum ersten Mal im ganzen Winter erst spät in der ersten Aprilhälfte. Der früheste Zeitpunkt, zu dem ich in Deutschland Schnee erlebt habe, was Ende November. Ende November, Anfang Dezember 2010 war außergewöhnlich schneereich. Richtigen Bodenfrost gibt es im Ruhrgebiet allerdings nicht, der Boden friert also nicht dauerhaft. Normalerweise schmilzt der Schnee ziemlich schnell wieder, nachdem er gerade erst gefallen ist. Falls eine etwas kältere Periode ist, kann der Schnee vielleicht auch sogar um die zehn Tage liegen bleiben. Das geschah zuletzt im Februar 2021, wobei der Schnee damals ein ziemliches Chaos verursachte, obwohl es sich um nichts weiter als einen einige Stunden andauernden Schneeschauer handelte.

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