Aufbruchsstimmung
Monatelang hatten wir darauf hingearbeitet – Auto geputzt, isoliert, Bretter gesägt und lackiert, Essensvorräte angelegt und ominöse Kisten gepackt. Nun war endlich der Moment gekommen. Bei mäßigem Regen bogen wir – das sind meine Freundin Jana und ich – vom Parkplatz und begaben uns auf eine Rundreise, deren Planung wie folgt lautete: Mit der Fähre nach Helsinki und dann mal schauen, was sich ergibt. Stets an unserer Seite befand sich der innere Schweinehund, den wir kurzerhand zu unserem Maskottchen auserkoren hatten. Aus der Musikbox klang unsere hitverdächtige Playlist, der beste Mix aus Niila, Johannes Oerding, The Greatest Showman sowie Wahnsinn – das Musical. In der Mitte zwischen uns ein gut gefüllter Korb mit Essenvorräten und im Fußraum ein Kasten Bier. Alles in allem also ein vielversprechender Start in die vor uns liegenden drei Wochen.
Das Glück entspringt, wenn man‘s nicht zwingt
Die Ferne greifen, querfeldein, folg dem Instinkt
Gedankenlos treiben, dahin, wo ich mich selbst nicht kenn‘
Die Pläne zerreißen, was wäre wenn…
(Johannes Oerding – Nur unterwegs)
Spätabends bezogen wir unsere Kabine und schafften es gerade noch, uns lang genug wach zu halten, um die Abfahrt aus Travemünde zu verfolgen. Kurz darauf ließen wir uns jedoch von den sanften Wellen in den Schlaf wiegen. Es gab nicht viel zu tun, außer zu entspannen und die Überfahrt zu genießen, bis Helsinki uns nach etwa 29 Stunden willkommen hieß.
Die Hauptstadt zeigte sich von ihrer besten Seite und verwöhnte uns mit herrlichem Wetter, sodass wir die nächsten Tage für ausgiebige Spaziergänge sowohl in der Stadt als auch auf Suomenlinna nutzten. Nebenbei etablierten wir die Tradition, auf unseren gemeinsamen Trips asiatisch zu essen und schmiedeten abends im Hotel fleißig Pläne für den weiteren Verlauf des Urlaubs. Bei einer Sache waren wir uns schnell einig: Es sollte möglichst schnell möglichst weit in den Norden gehen.
Wenn Miriam ein Schloss sehen will…
Nach einem kurzen Abstecher in Porvoo, wo wir uns mit Tee und Schokolade eindeckten, führte unser Weg uns schon bald auf die E75. Mit dieser in Finnland von Helsinki bis nach Utsjoki verlaufenden Straße hatten wir bereits in unserem letzten Urlaub ausgiebig Bekanntschaft gemacht und freuten uns über das Wiedersehen. Wir verbrachten die Nacht auf einem Campingplatz in Heinola. Die herrliche Stille und die Freude über einen Stellplatz direkt am Wasser (mit Blick auf die E75!) wurden einzig durch einen seltsamen wurstigen Geruch, der manchmal zu uns hinüberwehte, getrübt.
Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, ein Schloss sehen zu wollen. Konsequenterweise machten wir also einen „kleinen“ 200 km langen Umweg, um einen Stopp in Savonlinna einlegen zu können. Hier befindet sich die Burg Olavinlinna, in der jedes Jahr im Sommer Opernfestspiele stattfinden. Als wir eintrafen, mussten wir allerdings feststellen, dass wir zu spät dran waren und die Burg nicht mehr von innen besichtigen konnten. Zudem regnete es wie aus Eimern. Da sich daran in den nächsten Stunden auch nichts ändern sollte, beschlossen wir, die Zeit zu nutzen, indem wir möglichst viele Kilometer gen Norden herunterrockten. Mit dieser Einstellung schafften wir es immerhin bis nach Kuopio, wo wir unsere wohlverdiente Nachtruhe antraten.
Still love the silence of the night,
When nobody else is around
Still love to feel that piece of mind,
When there is no chasing time…
(Niila – Restless heart)
In der Nacht regnete es. Unter anderem auch ins Auto, da ich die Schiebetür nicht richtig geschlossen hatte… Nach dem Frühstück ging es weiter Richtung Norden, zumeist begleitet vom Plätschern des Regens auf der Windschutzscheibe. Da wir unterwegs keine langen Pausen oder Abstecher zu irgendwelchen Schlössern machten, erreichten wir gegen Abend bereits Ranua. Dieser Ort in Lappland wird den meisten wohl wegen seines Zoos ein Begriff sein. Den wollten auch wir uns nicht entgehen lassen und verbrachten den nächsten Vormittag damit, bei Nieselregen allerlei in der Polarregion heimische Tiere zu bewundern.
Wir stellten zudem fest, dass es im September so weit im Norden nachts doch recht kalt im niedrigen einstelligen Bereich werden kann. Angesichts der Tatsache, dass das Auto nicht mit Standheizung ausgestattet war (und 9 Grad Innentemperatur und reichlich Kondenswasser es auch nicht besonders behaglich machten), beschlossen wir, für unsere nächsten Stationen auf etwas festere Unterkünfte umzusteigen.
Über den Polarkreis mitten ins Nirgendwo
Als wir am Morgen unsere Zelte abbrachen, lichtete die Wolkendecke sich tatsächlich und wir konnten in der Ferne die Sonne durchschimmern sehen – ein guter Start in den Tag. So legten wir dann auch mehrere Fotostopps auf unserer Fahrt nach Rovaniemi ein. Wir schnupperten noch ein bisschen „Stadtluft“ und deckten uns mit reichlich Lebensmitteln ein, denn unsere Unterkunft für die nächsten Tage befand sich laut Beschreibung „in the middle of nowhere“. Aber dazu später mehr. Wir genossen es, uns bei unserem Spaziergang durch Rovaniemi die Sonne auf die Haut scheinen zu lassen und uns mal nicht in unsere Regenjacken einmummeln zu müssen. Das war übrigens das erste Mal, dass ich diesen Ort nicht bei Winter besucht habe. Ungewohnt, so viel Grün überall.
Noch eigenartiger wurde es allerdings, als wir einen fast schon obligatorischen Halt im Weihnachtsmanndorf machten. Man muss ja schließlich fotowirksam dokumentieren, dass man den Polarkreis überquert hat. Das dachte sich anscheinend auch die vorwiegend aus deutschen Rentnern bestehende Reisegruppe, die wir dort antrafen – „Ich zähle bis drei und bei drei lauft ihr alle über den Polarkreis! Eins – zwei – drei!“. Für uns als stille Beobachter ein amüsanter Anblick. Nebenbei wurden wir aus Lautsprechern mit Weihnachtsmusik berieselt, was im September jedoch nicht besonders besinnlich auf uns wirkte.
Den Weihnachtsmann besuchten wir auch diesmal nicht, sondern setzen unseren Weg fort. Erst jetzt machte sich bei mir das Gefühl breit, dort angekommen zu sein, wo ich hinwollte. Die Bäume wurden mit jedem Kilometer Richtung Norden kleiner, das Laub gelber, die Straßen menschenleerer… Zwischenzeitlich schüttete es wieder, aber der Anblick eines Regenbogens zusammen mit den bunt gefärbten Bäumen vor bleigrauen Wolken war Entschädigung genug. Schließlich bogen wir ab, um die asphaltierte Straße hinter uns zu lassen. Es folgte eine halbstündige Fahrt über eine schlammige und schlaglochreiche Piste, die uns direkt zu unserer Unterkunft für die nächsten Tage führte.
Diese befand sich wirklich mitten im Nirgendwo, genauer gesagt in Lohiniva. Es gab reichlich Wald, in dem wir spazieren konnten, eine Pferdekoppel direkt hinter der Hütte und die gemütliche Sauna der Besitzer, die auch wir benutzen durften – herrlich! Praktisch war vor allem, dass wir nur vor die Tür treten mussten, wenn wir Polarlichter beobachten wollten. Keine einzige Straßenlaterne weit und breit störte die Sicht in den sternenbehangenen Nachthimmel. Es war außerdem angenehm, sich ausnahmsweise mal nicht die Zehen bei eisigen Temperaturen abzufrieren, während man auf das Lichtspektakel wartete.
Wanderlust in Lappland
Unsere Reise führte uns weiter nach Levi. Hier sahen wir nicht nur zum ersten Mal einen Elch über die Straße laufen, sondern sammelten auch die wertvolle Erfahrung, wie man Erdnusssauce nicht zubereiten sollte. Diese legendäre Pampe in der Pfanne sorgte für einige Lacher bei uns und für Verwunderung bei unseren Familien, denen wir exklusives Bildmaterial zukommen ließen… wir hatten zudem noch länger etwas davon, da sich die Fenster unseres Zimmers nicht richtig öffnen ließen und wir mit unseren Küchenausdünstungen leben mussten.
Zum Glück meinte das Wetter es gut mit uns. Bei klarem Himmel und Sonnenschein unternahmen wir eine Wanderung auf eine 505 m hohe Erhebung namens Kätkä. Unterwegs begegneten wir einem Schneehuhn und einer Kreuzotter. Da es zum Teil ziemlich steil aufwärts ging, kamen wir ordentlich ins Schwitzen. Am höchsten Punkt angekommen wurden wir mit einer herrlichen Aussicht über die scheinbar endlosen Wälder belohnt. Die Seen glitzerten in der Sonne, die baumlosen Gipfel der Fjells erstrahlten in verschiedensten Braun- und Rottönen… es war eindeutig ruska. Davon zeugten auch die Unmengen an niedrigen Sträuchern, die den Waldboden bedeckten und mit reichlich reifen Beeren behangen waren, die nur darauf warteten, gepflückt und gegessen zu werden. Leider jedoch nicht von uns, da wir damals noch nicht wussten, wie wir Blaubeeren erkennen können.
Für unsere letzte Station in Finnland hatten wir uns Muonio ausgesucht. Auch hier hatten wir aufgrund eher mittelmäßiger Wetterprognosen auf ein Zimmer über Airbnb gesetzt und was soll ich sagen, es war eine gute Entscheidung. So konnten wir einen durchweg verregneten Tag mit Entspannung, Lesen und Spielen verbringen, bevor wir die nächste Wanderung in Angriff nahmen. Es galt, den Taivaskero zu besteigen, mit seinen 809 m immerhin die höchste Erhebung des Pallas-Yllästunturi Nationalparks. Obwohl es sonnig war, fröstelte es uns, denn auch hier gab es keine Bäume, die Schutz vor dem kühlen Wind geboten hätten. Dennoch eine schöne Runde, bei der wir sogar eine kleine Gruppe Rentiere beobachten konnten.
Wir nutzten das gute Wetter, um noch einige postkartenreife Fotomotive einzufangen und für ein erfrischendes (man könnte auch sagen, a…kaltes) Fußbad in einem der glasklaren Seen. Wer braucht schon Strandurlaub im Süden, wenn man stattdessen so etwas haben kann?
They can say, they can say it all sounds crazy
They can say, they can say we’ve lost our minds
I don’t care, I don’t care if they call us crazy
Runaway to a world that we design…
(The Greatest Showman – A Million Dreams)
Heimreise über Schweden
Als wir uns auf die Reise begeben hatten, hatte ich das Gefühl, wir hätten ewig Zeit. Und doch mussten wir irgendwann umkehren, um den Polarkreis ein weiteres Mal, in die meiner Meinung nach „falsche“ Richtung, zu überqueren. Nachdem wir Starthilfe bekommen hatten (das Auto war zwischenzeitlich ein wenig zickig), fuhren wir über die E8 gen Süden, bis wir Tornio erreichten. Dort deckten wir uns mit 24 L Blaubeersaft ein – der freie Platz unterm Bett musste ja sinnvoll gefüllt werden und finnischer Blaubeersaft ist einfach leckerer als die Variante in deutschen Supermärkten. Anschließend passierten wir die Grenze nach Schweden.
Wir widerstanden erfolgreich dem inneren Drang, dem Ikea einen Besuch abzustatten, und nahmen stattdessen Kurs auf die E4. Diese stellte sich in den kommenden Tagen als ziemlich langweilige eingezäunte Straße heraus. Da sich somit auch wenig Möglichkeiten ergaben, unterwegs spontan anzuhalten und irgendetwas anzustellen, verbrachten wir die meiste Zeit im Auto und legten am ersten Tag 480 km zurück, bevor wir uns auf einen Campingplatz stellten. Wir wollten uns gerade bettfertig machen, aber wie das halt so ist, sobald es klar ist, schaut man reflexartig in den Himmel Richtung Norden. Obwohl wir uns auf einem hellen Stellplatz befanden mit Sicht auf eine Fabrik und Hochhäuser, hatten wir noch einmal Glück und konnten einige sehr intensive Polarlichter beobachten.
Wir folgten der E4 auch weiterhin. Nach einem Tankstopp wollte das Auto allerdings zunächst wieder nicht anspringen. Dadurch alarmiert trauten wir uns nicht, unterwegs unnötig anzuhalten, weil das bedeutet hätte, den Motor wieder ausschalten zu müssen. Das haben wir erst bei Höga Kusten gewagt, eine bis zu 285 m hohe Steilküste, bei der wir uns die Beine vertreten wollten. Der Weg nach oben war ganz nach unserem Geschmack, aber nicht empfehlenswert für Leute mit Höhenangst. Als wir am Abend einen Stellplatz bei Sundsvall erreichten, hatten wir wieder fast 500 km mehr auf dem Tacho.
So kam es, dass wir bereits am kommenden Nachmittag Stockholm erreichten. Dort standen wir zum ersten Mal seit Wochen im Stau. Ungewohnt, und dann auch noch so viele Menschen überall. Natürlich sahen wir uns die Stadt an und kauften in Souvenirläden Dinge, die man unbedingt (nicht) braucht. Wir besuchten das Vasamuseum und aßen Zimtschnecken, die leider so fies süß waren, dass wir danach mehrere Wochen lang keine mehr sehen konnten. Das muss wohl eine Zuckerüberdosis gewesen sein. Dafür waren die Köttbullar, die wir in einem Restaurant in der Altstadt aßen, vorzüglich.
Über Karlskoga, wo wir eine alte Klassenkameradin besuchten, ging es bis nach Malmö. Es wurde zunehmend unluxuriöser. Verbrachten wir die vorletzte Nacht noch auf einem Rastplatz an der Autobahn, wo es zumindest eine Toilette gab, standen wir am letzten Tag auf einem Parkplatz in der Nähe des Hafens. Die dortigen sanitären Einrichtungen hatten nur von 9 bis 21 Uhr geöffnet, was dazu führte, dass ich einige unschöne Kraftausdrücke zur Beschreibung der Situation gebrauchte… Aber irgendwie überstand ich auch diese Nacht und am nächsten Morgen brachen wir zeitig zur Fähre auf. Es wurde noch einmal spannend, als das Auto genau dann zu versagen drohte, als wir auf das Schiff fahren wollten. Dank des Einsatzes eines eifrigen Hafenmitarbeiters gelang uns das zum Glück noch rechtzeitig.
Es sind diese Geschichten im Leben
Die uns an die Grenzen bringen
Die uns noch Jahre danach bewegen
Weil sie unvergesslich sind…
(Wolfgang Petry -Tinte)
Damit endete unser Roadtrip. Nach insgesamt 4650 km mit dem Auto, 353 718 Schritten zu Fuß, 751 Seemeilen und mit ganz vielen neuen Eindrücken und Erinnerungen kehrten wir schließlich zurück nach Hause. Danke an Jana für die Zeit und die schönen Fotos. Ich hoffe auf eine baldige Wiederholung!
©Beitragsbild Jana Kloster
Super! Ich kann mir alles bildlich vorstellen. Die ganze Reise. Bin gespannt, was noch kommt.
Hoffentlich bald wieder neue Reiseerlebnisse und bis dahin kochen wir einfach weiter finnische Gerichte.