Reise nach Nordkarelien

Du betrachtest gerade Reise nach Nordkarelien

Eines Morgens im August standen wir am Bahnhof von Kokemäki und warteten auf den Zug, der ein wenig Verspätung hatte. Wir schauten besorgt auf die Uhr, da wir zunächst in Tampere und danach noch in Pieksämäki umsteigen sollten. Unser Ziel war Joensuu, die sich in Ostfinnland befindliche Hauptstadt der Provinz Nordkarelien. Für vier Tage wurden die mir bekannten Landschaften Westfinnlands gegen Ausflüge im östlichen Finnland eingetauscht.

Das Reiseziel war aus mehreren verschiedenen Gründen ausgewählt worden: Keiner von uns beiden war je in Joensuu oder dessen Umgebung gewesen, sodass wir davon überzeugt waren, dass es dort ausreichend zu erleben und sehen geben würde. Außerdem liegen meine familiären Wurzeln in Karelien, sodass es sich gut anfühlte, nach langer Zeit an Orte zu gelangen, wo sich die Menschen auf dieselbe Art „benehmen“ wie ein Teil meiner Verwandten, also unter anderem östliche Dialekte sprechen und karelische Piroggen zubereiten. Zudem hatte ich Lust, den Koli-Nationalpark zu besuchen, da die sich dort erstreckende sogenannte Nationallandschaft ein zentrales Thema vieler Reisebroschüren, Internetseiten und Finnischlehrbücher ist.

Von Joensuu aus gibt es gute Verkehrsanbindungen an den sich in etwas mehr als 60 km Entfernung liegenden Koli, sodass es sich anbot, diese beiden Reiseziele miteinander zu verbinden. Koli ist ein beliebtes Ausflugsziel vieler Touristen, weswegen es für mich als in Finnland aufgewachsener und als Finnischlehrer wichtig war, selbst den Nationalpark zu besuchen.

 

Joensuus Sehenswürdigkeiten anschauen

Das Wetter war an allen vier Tagen eher frisch, aber immerhin zeigte sich die Sonne regelmäßig. Die Zugreise quer durch Finnland verlief letztendlich ohne Probleme; wir schafften es also umzusteigen und erreichten Joensuu planmäßig am Nachmittag. Vom Bahnhof aus ging unsere Reise weiter zum Hotel, wo gratis Kaffee und Tee auf uns warteten. Auch die zwei an der Rezeption erhaltenen Lollis sagten mir zu, obwohl ich so etwas normalerweise nicht esse.

Vom Hotel aus wendeten wir uns zuerst in Richtung Stadtzentrum, wo wir feststellten, dass der sich vor dem Rathaus befindliche Vapaudenpuisto sich in eine große Baustelle verwandelt hatte. Wir störten uns nicht an den Baumaschinen auf dem Marktgebiet, sondern umrundeten es und setzten dann unsere Reise zu Fuß fort zum Ufer des Sees Pyhäselkä, der die Stadt umgibt und zum Saimaa-Seensytem gehört. Die Stadt hat uns beide sofort stark beeindruckt. Durch sie fließt auch der Fluss Pielisjoki, sodass das Zentrum fast komplett von Wasser umgeben ist. Abgesehen von der schönen Landschaft gefiel mir auch, dass die Stadt ausreichend groß ist, sodass man dort alles Benötigte findet und es dort lebhaft zugeht, aber andererseits auch so klein ist, dass die Stille der Natur nur einen Fußmarsch entfernt ist.

Während der zwei kompletten und zwei halben Tage schafften wir es, neben dem Koli-Nationalpark das Zentrum von Joensuu und die sich in der Nähe befindlichen Ziele kennenzulernen: Ilosaari, die evangelisch-lutherische Kirche, die orthodoxe Kirche, die Trabrennbahn, den Campus der Universität Ostfinnland, das Urlaubsgebiet Linnunlahti, den Rosengarten sowie das Denkmal des Klosters von Kuhasaari, um nur einige zu nennen. Für mich war der Besuch des Nordkarelischen Museums sogar etwas emotional, da die Gegenstände und Ausstellungen Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend sowie an meine verstorbenen Verwandten hervorriefen.

 

Örtliches Essen

Während der vier Tage machte ich Miriam auch mit den örtlichen und den finnischen Speisen im Allgemeinen vertraut. Karelische Piroggen und Haferbrei, den wir natürlich auch beim Hotelfrühstück genossen, waren ihr schon zuvor bekannt. Jetzt aber durfte sie sich zum ersten Mal über viili wundern, das heißt ein Milchprodukt etwas dickflüssiger als Joghurt, das man schön mit dem Löffel ziehen kann. Von den am selben Wochenende veranstalteten internationalen Märkten auf der Strandpromenade des Pielisjoki – welche Miriam direkt an die Cranger Kirmes ihrer Heimatstadt Wanne-Eickel erinnerten – nahmen wir Lakritze mit. Ich erhielt auch die Gelegenheit, gegrillte kleine Maränen zu probieren. Der wahre kulinarische Höhepunkt der Reise war allerdings Lörtsy: ein frittiertes, mit Reis und Hackfleisch oder Apfel gefülltes, an Calzone erinnerndes Gebäck, das ich als Proviant angesichts unseres Ausflugs nach Koli aus dem Supermarkt geholt hatte. Letzten Endes aßen wir unsere Lörtsy erst am Abend im Hotel und Miriam wirkte nicht besonders überzeugt. Wer hätte damals ahnen können, dass wir einige Monate später Lörtsy in unserer eigenen Küche selbst zubereiten würden?

 

Ein Tag im Koli-Nationalpark

Zuerst hatten wir vor, mit einem Mietwagen zum Koli zu fahren, aber da keiner von uns eine Kreditkarte dabeihatte, gelang die Automietung nicht. Also beschlossen wir, ein Taxi zu bestellen, das vor allem Touristen zwei Mal täglich zwischen Koli und dem Zentrum von Joensuu transportierte. Das Taxi holte die Reisenden vom Bahnhof ab und brachte uns in den hauptsächlich im Stadtgebiet von Lieksa liegenden Nationalpark, auf die Spitze eines hohen Hügels.

Von der Spitze jenes steinigen Hügels, auf Finnisch vaara, der sich bis zu 347 Meter über dem Meeresspiegel erhebt, erstreckten sich prächtige Landschaften nach Ost und Nordost. Der See Pielinen sowie die unendlichen Nadelwälder waren ein herrlicher Anblick von den hohen Felsen aus betrachtet. An den bekanntesten Aussichtspunkten Kolis gab es ein großes Gewimmel, aber glücklicherweise trafen wir eine vernünftige Entscheidung und machten uns auf, einige Kilometer nach Süden zu wandern, indem wir einem gut markierten, aber ziemlich schwierig zu laufenden Weg folgten. Uns kam eine (Überraschung!) deutsche Touristengruppe entgegen, aber im Allgemeinen durften wir die Landschaften und die Stille der Natur genießen, ohne dass andere Touristen uns gestört hätten. Wieder einmal merkten wir, wie faul ein großer Teil der Reisenden ist. Während direkt neben dem Parkplatz alles mit Menschen verstopft ist, wird man sie schnell los, indem man ein paar hundert Meter weiter läuft.

Für finnische Verhältnisse ist der Koli-Nationalpark recht klein, und normalerweise bewegt man sich dort auch nicht über Stege im Sumpf, um Vögel zu beobachten. Der Großteil der Gäste geht vermutlich nur die berühmte Nationallandschaft auf dem großen Felsen Ukko-Koli betrachten und setzt danach direkt seine Reise fort. Tiefer im Wald trifft man Leute, die sich gerne bewegen und an der Natur interessiert sind. Wir verewigten unseren Aufenthalt, indem wir von verschiedenen Orten zahlreiche Fotos schossen und die Landschaft auf Video aufnahmen. Ich erinnere mich gerne an unseren Ausflug zum Koli und nach Joensuu und bin bereit, irgendwann in der Zukunft dorthin zurückzukehren.

Schreibe einen Kommentar