Spricht man mit Leuten darüber, dass man Finnisch lernt, erhält man häufig Reaktionen in der Art von: „Krass, ist das nicht wahnsinnig schwierig?“ – zumindest, wenn das Gegenüber eine Vorstellung von der Sprache hat und nicht wissen möchte: „Ist das so ähnlich wie Schwedisch oder Russisch?“.
Die Leute haben vielleicht etwas aufgeschnappt von 15 verschiedenen Fällen oder Wortungetümen wie lentokonesuihkuturbiinimoottoriapumekaanikkoaliupseerioppilas. Aber was ist tatsächlich dran am Mythos der schrecklich schwer zu erlernenden finnischen Sprache? Im Folgenden möchte ich auf die Aspekte eingehen, die ich selbst als herausfordernd erlebe.
1. Grammatik
Ja, es gibt diese berüchtigten 15 Fälle, aber das ist halb so wild. Das mag überraschend klingen für diejenigen, die höchstens Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ kennen. Tatsächlich ist es aber so, dass es sich bei sechs der 15 Fälle um sogenannte Lokalkasus handelt, das heißt, sie geben an, wo sich etwas befindet oder in welche Richtung es sich bewegt. Das ist an sich erst mal nicht schwieriger, als wenn ich sage, ich bin im Haus oder ich gehe ins Haus – auf Finnisch olen talossa bzw. menen taloon. Der Unterschied ist einfach, dass diese Information an das Wort gehängt wird, anstatt eine Präposition zu nutzen. Das ist höchstens gewöhnungsbedürftig, aber nicht kompliziert.
Von den anderen Kasus gibt es einige, die nur selten genutzt werden, sodass man sich um diese am Anfang nicht viele Gedanken machen muss. So betrachtet bleibt vom Schreckgespenst der hohen Anzahl an Fällen gar nicht mehr viel übrig.
Als schwierig empfinde ich vor allem zu entscheiden, in welchem Kasus das Objekt stehen muss. In meiner Welt gab es früher eigentlich nur Dativ- oder Akkusativobjekte. Das sollte man beim Finnischlernen am besten vergessen und gar nicht erst damit anfangen, in Gedanken nach „Wen oder was?“ zu fragen, weil ich damit in 90 % der Fälle daneben liege. Das Objekt im finnischen Satz kann im Partitiv, Nominativ, Genitiv oder Akkusativ-Genitiv stehen. Dabei gilt es noch zu beachten, um welchen Satztyp es sich handelt.
Nehmen wir folgende Beispiele:
Ich kaufe ein Auto. – Ostan auton.
Ich kaufe kein Auto. – En osta autoa.
Ich habe ein Auto. – Minulla on auto.
Während sich im Deutschen das Auto nicht ändert, steht es im Finnischen in jedem Satz in einem anderen Kasus.
Was mitunter auch Kopfzerbrechen bereiten kann, sind die Partizipien. Von denen kennt die deutsche Sprache zwei, die finnische dagegen sechs. Das erlaubt es, sich auf Finnisch nuancierter auszudrücken, aber zu Beginn ist es nicht immer einfach zu entscheiden, welches Partizip in welchem Zusammenhang angewendet werden muss.
Als Ausgleich dafür belohnt die finnische Sprache einen damit, dass es kein grammatikalisches Geschlecht gibt. Somit entfällt das Pauken von Artikeln. Zudem spart man sich das Futur, da aus dem Zusammenhang hervorgeht, ob man von der Gegenwart oder Zukunft spricht. Abgesehen von olla, tehdä und nähdä (sein, machen und sehen) gibt es auch keine unregelmäßigen Verben. Ist doch eigentlich ganz einfach.
2. Wortschatz
Die Finnische Sprache unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich ihrer Grammatik von den meisten anderen Sprachen in Europa, sondern auch im Wortschatz. Es gibt einige Wörter, die zum Beispiel aus dem Schwedischen oder Englischen entnommen und „eingefinnischt“ wurden (vergleiche z.B. ranta – Strand oder fiilis – Stimmung, Gefühl). Sie ähneln deswegen bekannten Wörtern und sind einfach zu merken.
Damit enden die guten Nachrichten auch schon. Wenn man nicht zufällig bereits Estnisch gelernt hat, werden die meisten Vokabeln am Anfang fremd aussehen. Da sich kaum an zuvor gelernte Sprachen anknüpfen lässt, verschwinden die Wörter auch gerne wieder aus dem Gedächtnis. Sehe ich einen Text in einer germanischen oder romanischen Sprache, kann ich mir aufgrund von Vorerfahrungen den Inhalt zumindest teilweise erschließen, auch ohne die Sprache zu beherrschen. Bei Finnisch habe ich die notwendigen Vokabeln entweder gelernt oder ich verstehe nur Bahnhof.
Ich finde aber, dass gerade das einen besonderen Reiz ausmacht. Man muss sich zwar ein wenig durchkämpfen, um sich einen soliden Basiswortschatz zu erarbeiten, aber dafür ist es hinterher umso befriedigender, wenn man ohne Wörterbuch finnische Bücher oder Zeitschriften lesen kann.
Und zu den langen zusammengesetzten Substantiven: Das kann man natürlich so machen, kommt in der Praxis aber kaum vor. Wir verwenden schließlich auch nicht täglich Begriffe wie „Donaudampfschifffahrtskapitän“ oder „Tierkadaverbeseitigungsanlage“, oder?
3. Aussprache
Die Aussprache ist einfach in dem Sinne, dass jeder Buchstabe, den man liest, auch wirklich ausgesprochen wird. Der einzige Laut im Finnischen, der in der deutschen Sprache nicht vorkommt, ist der „ä-Laut“ [æ]. Dafür gibt es ihn im Englischen und da die meisten diese Sprache vor Finnisch gelernt haben werden, sollte das machbar sein. Wichtig ist, e und ä deutlich zu artikulieren, da es bedeutungsunterscheidend sein kann (z.B. Kokemäellä – in Kokemäki vs. Kokemäelle – nach Kokemäki). Ich selbst habe manchmal Probleme, mir zu merken, ob ein finnisches Wort mit e oder ä geschrieben wird, da wir das im Deutschen beim Sprechen nicht unterscheiden.
Außerdem kommen in der finnischen Sprache Kombinationen von Vokalen und Umlauten bzw. Diphthonge vor, die im Deutschen undenkbar sind. Da bekommt man bei Wörtern wie yöpyä, röyhkeä oder käyttäytyä manchmal schon das Gefühl, die Zunge verknotet sich, aber das ist natürlich nur eine Übungssache.
Noch weniger mag meine Zunge allerdings das gerollte Zungenspitzen-r. Im Ruhrgebiet haben wir das nicht und trotz vieler verfügbarer Anleitungen, wie dieser Laut gebildet wird, will es mir bis heute nicht gelingen.
Für deutsche Muttersprachler kann es vielleicht anfangs schwierig sein, die richtige Länge der Laute zu treffen. Sari ist nicht gleich saari und kissa ist nicht kisa. Das Sprechen von Doppelkonsonanten kennen wir aus der eigenen Sprache nicht, im Finnischen dagegen hört sich ein -pp- oder -tt- anders an, als wenn die Buchstaben nur einfach vorhanden sind. Das lässt sich aber trainieren, indem man zum Beispiel Audioaufnahmen anhört und versucht, mitzusprechen.
4. Schriftsprache vs. Alltagssprache
Irgendwann hat man seine Lehrbücher durch und auch die Hörverstehensübungen erfolgreich gemeistert – und plötzlich sitzt man mit den potentiellen Schwiegereltern am Tisch und versteht nur „Blablablablabla.“ Finnen denken nämlich gar nicht daran, so zu sprechen, wie es im Buche steht. Irgendwo verständlich – wennich Pott rede, klingt dat ja auchn bisschen anders.
Da fallen Buchstaben weg (z.B. minä olen wird zu mä oon), Wörter werden zusammengezogen (minulla on – mullon) oder durch umgangssprachliche Begriffe ersetzt (televisio – telkkari). Manchmal finde ich die Unterschiede schon gravierend und auch daran muss man sich erst gewöhnen. Am besten hilft mir hören, hören, hören, sei es jetzt Radio, Fernsehen oder die Verwandtschaft meines Freundes. Irgendwann beginnt das, was man hört, Sinn zu ergeben.
Mein Fazit
Ich persönlich würde nicht sagen, dass Finnisch unglaublich schwierig ist. Es ist einfach anders, da es zu einer ganz anderen Sprachfamilie gehört als das Deutsche. Man muss sich einen komplett neuen Wortschatz und eine andere Grammatik aneignen. Mit der richtigen Einstellung und Technik ist das aber kein unüberwindbares Hindernis. Im Gegenteil, wenn man sich für Sprachen interessiert und etwas Ungewöhnliches kennenlernen möchte, kann Finnischlernen sehr viel Spaß machen.